Doch Bush hat gewaltig zugelegt und führte zwischenzeitlich sogar die Meinungsumfragen an. Mit einem Etat von mehreren hundert Millionen Dollar kommt der Wahlkampf nun in die heiße Phase bis zu den Wahlen am 7. November 2000. Den Auftakt dazu gaben die Republikaner mit der offiziellen Nominierung von Bush auf ihrem Parteitag in Philadelphia Anfang August. Die Demokraten konterten nur zwei Wochen später mit ihrer Convention in Los Angeles, die vor allem für den noch amtierenden Präsidenten Clinton zum großen Abschiedsauftritt von der eigenen Partei wurde. Wie immer zählt hier für die beiden großen Parteien nur eines: protzen bis zum Abwinken. Jeweils mehrere tausend Delegierte und ein noch größeres Heer an Gästen und Journalisten aus aller Welt erlebten die Shows. Und die Fernsehsender übertrugen die Spektakel, die wie üblich zur besten Abendsendezeit ihre Höhepunkte fanden.
Genauso wird der Wahlkampf auch weitergehen. Medienwirksame Auftritte prägen das Bild, hinterlegt mit reichlich Glamour und Show. Amerikanisch eben. Die Themen scheinen dabei deutlich weniger wichtig zu sein als die Kandidaten. Parteiprogramme werden in den USA auf den Conventions deswegen ganz am Anfang innerhalb weniger Stunden verabschiedet.
Die Kandidaten
Auf der einen Seite steht George W. Bush. Der 54-jährige Sohn des ehemaligen US-Präsidenten George Bush ist Gouverneur von Texas und Kandidat der Grand Old Party, wie die Republikaner vor allem im Süden liebevoll genannt werden. Obgleich die mächtigen Männer im Hintergrund der Republikanischen Partei ihm ein sehr orthodoxes Programm mit auf den Weg gegeben haben, propagiert er einen „mitfühlenden Konservativismus“. Damit versucht er, die wichtigen Wählerschichten der Mitte auf seine Seite zu ziehen. Seine Themen sind die Reform der Altersversicherung, die er teilweise privatisieren möchte, und die Situation im Bildungsbereich.
Doch George W. Bush ist als Gouverneur von Texas in den USA bereits deutlich umstritten. In keinem anderen Bundesstaat werden mehr Menschen hingerichtet. International stehen die USA bei den Vollstreckungen der Todesstrafe nur hinter China, die ohnehin jenseits jeder Vergleichszahlen Hinrichtungen am Fließband betreiben. Auch wenn die Todesstrafe von den meisten US-Bürgern unterstützt wird, weiß die „Neue Mitte“ in den USA um die internationale Problematik im Umgang mit dieser illegitimen Form der Bestrafung.
Auf der anderen, der Seite der Demokratischen Partei, versucht sich der amtierende Vizepräsident Al Gore. Nur zwei Jahre jünger als sein Kontrahent, konnte er seit acht Jahren als Vize bereits Erfahrungen mit der Verwaltungselite in Washington sammeln. Auch international scheint Gore ein deutlich profunderes Wissen als Bush zu besitzen. Nur ist er leider auch immer noch als sehr trocken und hölzern bekannt. Unter seinem Chef Bill Clinton konnte dieses bisschen Biederkeit nicht schaden, doch nun fehlt ihm die Überzeugungskraft in seinen Auftritten. Immerhin wurde aber seine Abschlussrede auf der demokratischen Konvention von den Wählern gut aufgenommen. Mit dem gerade beendeten Parteitag im Rücken, konnte er sogar wieder in den Meinungsumfragen mit 48 Prozent deutlich von Bush mit 42 Prozent landen. Doch in den kommenden Wochen wird dieser Bonus auch wieder zusammenschmelzen.
Zu bedenken gibt auch die Nominierung des jüdischen Kongressabgeordneten Joseph Lieberman als Vizepräsident. Auf der einen Seite gilt es als gewagt, denn noch nie wurde ein Jude für das zweite Amt im Staat vorgeschlagen. Dies könnte einige der traditionellen Stammwähler der Demokraten kosten. Andererseits zeugt seine Berufung von politischer Taktik. In aller Ruhe kann nun Al Gore linke Töne aufgreifen und deutlich gegen den grünen Kandidaten, den Verbraucheranwalt Ralph Nader, angehen, dem immerhin bis zu sieben Prozent zugetraut werden. Den moralischen, konservativen Flügel und die weiße Mittelschicht, die Wechselwähler zwischen Republikanern und Demokraten, bedient der Moralist Lieberman.
Und noch ein Punkt ist für Gore ein Risiko: der Glanz, den sein Vorgänger Bill Clinton ausstrahlt. Hätten die amerikanischen Wähler die Möglichkeit, ihn erneut zu wählen, wären alle Gegner chancenlos. Clinton ist auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Das hat auch der Parteitag in L.A. gezeigt, der schon im Vorfeld zum Schaulaufen für die Familie Clinton wurde. Nicht nur des Präsidenten Auftritt, auch der Wahlkampf Hillarys um den Posten der Senatorin von New York, stand anfangs im Mittelpunkt. So bleibt die Hoffnung für Gore, dass etwas von dieser Leichtigkeit und Lockerheit an ihm haften bleibt.
Das liebe Geld
Schwer hat es Al Gore gegen Clinton gewiss auch beim sogenannten „Fund Raising“, dem Eintreiben von Spendengeldern. Hier scharwenzelten die Mitarbeiter der Clintons um nahezu jeden potentiellen Geldgeber wie die Motte um das Licht. Und die Clintons brauchen Geld, für Hillarys Wahlkampf ebenso wie für Bills Anwaltsrechnungen aus der Lewinsky-Affäre. 6 Millionen Dollar sollen da noch offen stehen – und eine weitere Untersuchung durch den neuen Sonderermittler wurde eben erst angekündigt.
George W. Bush hingegen scheint mit dem Sammeln von kleinen und gerne auch großen grünen Scheinen weitaus mehr Erfolg zu haben. Zwar kostetet ihn der langwierige Vorwahlkampf gegen McCain gut 100 Millionen Dollar, doch nun, seit seine Umfrageergebnisse steigen, scheint auch das Geld wieder zu fließen. Während die Demokraten vor allem bei internationalem Publikum punkten, kann sich Bush auf die oftmals reichlich engstirnigen und an Außenpolitik nicht weiter interessierten, fast ausschließlich weißen Großverdiener aus dem reichen Süden verlassen. Auch die Versicherungsindustrie verspricht sich Vorteile von einem Präsidenten Bush jun. und zahlt kräftig.
Die Programme
In den nächsten Jahren steht in den USA innenpolitisch vor allem die Aufgabe, das Rentensystem zu reformieren ins Haus. Auch im Schulsystem liegt noch so einiges im Argen. Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten sind wohl in erster Linie in der Art der Finanzierung von Projekten zu sehen. Bush verfolgt die Fortführung der Programme seines großen Vorgängers Ronald Reagan, also die totale und schonungslose Privatisierung. Zudem will er die Erbschaftssteuer abschaffen, die seine Partei als „Todessteuer“ gebrandmarkt hat. Al Gore zeigte bei seinem letzten Auftritt, dass er die Familien für sich gewinnen will. Diese seien die Basis der amerikanischen Wirtschaft, nicht die Großunternehmen.
Außenpolitisch kann Al Gore im Unterschied zu seinem Konkurrenten auf seine langjährige Erfahrung als Vizepräsident zurückgreifen und dürfte dank seines Mitstreiters Joe Lieberman auch an einer Vermittlung im Nahost-Konflikt interessiert sein. George W. Bush hingegen kann international weder Erfolge noch überhaupt irgendwelche Fähigkeiten vorweisen. Seine designierte außenpolitische Beraterin Rice weiß zwar, wo Europa liegt – Verständnis für europäische Belange hat sie nicht. Sie fordert ein neues Erstarken der Führerschaft der USA, da es die Regierung Clinton versäumt habe, „ausländische Märkte für amerikanische Produkte zu öffnen“. Beide Parteien halten zudem am äußerst strittigen nationalen Raktenabwehrsystem NMD fest.
Die Rolle des Präsidenten
Im politischen System der USA ist der Präsident die gestaltende Kraft.. Er ist Repräsentant des Staates ebenso wie sein oberster Verwaltungschef im zivilen wie militärischen Bereich. Er bestimmt die Richtlinien der Politik und gestaltet die Außen- und Sicherheitspolitik. Zwar benötigt der Präsident die Unterstützung des Kongresses für seine Regierungsvorhaben, doch ist auch dieser auf ihn angewiesen. Es geht also nicht ohne einen starken „Leader“ im Weißen Haus.
Doch wer soll dieses Amt nun ausfüllen? Bill Clinton trat nach zwölf Jahren knallharter republikanischer Wirtschafts- und Außenpolitik sein Amt als Hoffnungsträger einer jungen Generation an, zu einem Zeitpunkt da Amerika gerade begann, seine neue Rolle nach dem Ost-West-Konflikt zu finden und gleichzeitig einen Ausweg aus dem gesellschaftsfeindlichen Liberalismus der Ära Reagan zu suchen. Er schaffte den Wirtschaftsboom für die USA mit Wachstumsraten von zuletzt 7 Prozent jährlich, auch wenn einige enttäuscht waren, dass er nicht vollkommen zu einem zweiten Kennedy wurde.
Könnte ihm Gore oder Bush nachwachsen? Vermutlich nicht. Bush kann international nur spalten. Er ist der Sohn des Vize von Reagan. Ronald Reagan, der letzte Präsident des Kalten Krieges, der Pinochet beim Putsch in Chile unterstützte und zusammen mit Margaret Thatcher in England den kältesten Liberalismus des 20. Jahrhunderts betrieb. Und Gore? Gore ist hölzern. Das weiß er selbst, wie alle anderen auch. Gore bietet keine Überraschungen.
Beide Kandidaten taugen also nichts. Oder doch? Vielleicht helfen sie Europa in seinem Selbstfindungsprozess. Vielleicht erwacht in Europa ein neuer Geist, wenn der starke Partner jenseits des Atlantiks ein wenig kleiner und normaler wird. Das 20. Jahrhundert war, militärisch wie zivil, das amerikanische Jahrhundert. Doch dass diese Epoche zu Ende gehen und ein neues Zeitalter, vielleicht das viel beschworene asiatische, seinen Lauf nehmen würde, war abzusehen. Das amerikanische Jahrhundert endet mit der Amtszeit des charismatischen Bill Clinton; das 21. Jahrhundert kann beginnen, meiner Prognose nach unter Präsident Bush.
© Jörg Steinhaus 2000
erschienen in Kronos. Nr. 9. September 2000. Politik. Seite 4.