Die New Economy steckt weiter in der Krise

Nur noch Internet?

Der Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre, zumal in den USA, stützt sich zu guten Teilen auf die Errungenschaften des Internet. Nun jedoch brechen die Aktienkurse der New Economy auf breiter Front ein, der Ruf ganzer Branchen gerät ins Wanken. Ist das Internet doch kein Allheilmittel, kein Schritt in eine neue Zukunft wie einst die Erfindung der Dampfmaschine und die daraus resultierende industrielle Revolution?


Eine Welt ohne Computer wird es nicht mehr geben. Die rasante Entwicklung der letzten dreißig Jahre ist auf jeden Fall eine Zäsur in der Geschichte der Menschheit. Ob jedoch die Entwicklung der Informationstechnologie samt ihrem Aushängeschild Internet die gesamte Wirtschaftsordnung derart verändern wird, wie die industrielle Entwicklung vor gut 200 Jahren, bleibt bislang unbeantwortet.

Angesichts zusammenbrechender Börsenkurse am Neuen Markt können sich nun auch Skeptiker wieder Gehör verschaffen, die zu Zeiten des Booms bis März 2000 vollkommen verstummt waren. Was sich jedoch an den internationalen Aktienmärkten abspielt, ist auch weiterhin kein Grund zur Panik. Das vorläufige Ende des Wachstums zeugt nicht davon, dass der Nutzen des Internets für die Wirtschaft bereits aufgebraucht ist, sondern vielmehr von einer längst überfälligen Normalisierung der Börsenkurse und von einer Konsolidierung der wirtschaftlichen Potenziale. Der derzeitige Crash ist eine Rücknahme des Hypes.

In den zurückliegenden Monaten und Jahren wurde das Internet vielfach als Allzweckwaffe gefeiert, als Mittel zur Erschöpfung neuer Produktions- und Vertriebsformen. Viele übersahen dabei, dass sich hier der Mythos eines neuen Wirtschaftssegments mit einer großen Börseneuphorie, vor allem in Deutschland, paarte. Doch wie weitreichend sind die Folgen der technologischen Entwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tatsächlich?

Die industrielle Revolution
Um die wahren Veränderungen der Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme durch Informationstechnologie und Internet bewerten zu können, lohnt sich ein Vergleich mit der industriellen Revolution, die ab 1785 in England ihren Lauf nahm. Durch die Entwicklung der Dampfmaschine konnte die Produktion von Waren vom Haushalt in die Fabrik verlagert werden, die Entwicklung der Eisenbahn ermöglichte die Schaffung von Massenmärkten und der Einsatz von Elektrizität verlängerte vor allem im Winter den Arbeitstag. Dieser Wandel war tatsächlich für große Teile der Menschen in den entsprechenden Ländern lebensverändernd, oftmals mit negativen Folgen für den einzelnen. Die Industrie benötigte nämlich nur die "muscle power" ihrer Arbeiter, der Mensch als Wesen trat dahinter zurück.

Das Internet hingegen fordert und fördert die "brain power" der Beschäftigten. Der Mensch ist in der New Economy nicht mehr Kostenfaktor, sondern Wertquelle. Dies allein verändert die gesamte Arbeitsteilung, die sich nun auf das Motto "Kooperation statt Ellenbogenkonkurrenz" umstellen muss, aber auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Unternehmen.

Computerwelten
Jedoch nicht allein das Internet, vielmehr die Informationstechnologie insgesamt hat unsere Umwelt verändert. Die Zahl der Mobiltelefone übersteigt inzwischen in vielen Staaten die Anzahl der Festnetzanschlüsse - ohne moderne Computertechnik in jedem einzelnen Handy undenkbar. Ein modernes Auto vereint mehr Rechenleistung in sich, als den frühen Apollo-Raumfahrtprogrammen zur Verfügung stand. In nahezu jeden Bereich des alltäglichen Lebens und der Arbeit sind Mikrochips heutzutage vorgedrungen. Das Internet ist da nur der nächste Schritt, einer, der sich erst seit fünf Jahren richtig etablieren kann.

Neue Informationswege
Das Internet ist in erster Linie ein Kommunikationsmedium, so wie die Erfindung des Telegrafen vor über 150 Jahren. Er ermöglicht eine drastische Senkung der Telekommunikationskosten und verändert die Lebensgewohnheiten der Menschen. Somit gestattet es zumindest neue Absatzwege für herkömmliche Produkte. Das ist zwar gut für den Konsum und damit für die gesamte Wirtschaft, aber so alleine noch nicht wirklich weltbewegend. Auch wenn im Moment die Aktienkurse stärker fallen als steigen, haben sich die "realen" Rahmenbedingungen in den letzten Monaten nicht verändert. Immerhin ein Drittel aller Deutschen über 14 Jahren nutzen das Internet und dies weiter zunehmend nicht nur zum Vergnügen, sondern auch im wirtschaftlichen Sinn.

Doch das Internet spaltet die Menschheit auch in Wissende und Nicht-Wissende. Dies wirkt sich zum einen auf die Arbeitsverhältnisse der Zukunft aus, wo eine Arbeitskraft ohne Wissen nicht viel zählen wird. Zum anderen aber werden die Nicht-Wissenden zunehmend auf Barrieren und Probleme stoßen, deren Beseitigung sie zeitlichen und finanziellen Aufwand kosten wird.

Der Nachteil für den Internetverweigerer, aus welcher Motivation auch immer, besteht nicht darin, dass er nicht an die kostenlosen Informationen gelangt, die ihm das Netz bietet. Noch zumindest nicht. Sein Problem ist eher, dass er die Kosten, die in der realen Welt anfallen, für den Nutzer virtueller Welten mittragen muss. Schon heute locken zum Beispiel viele Banken ihre Online-Nutzer mit kostenlosen Zahlungsvorgängen und anderen Gebührenvorteilen, da ihnen tatsächlich kaum Kosten im Unternehmen anfallen. Teuer hingegen wird es für den, der mit papiernen Aufträgen bei der Bank erscheint. Er allein wird in Zukunft die Mitarbeiter und Gebäude der Unternehmen finanzieren müssen.

Wandel durch Wissen
Der Vorteil der Informationstechnologie insgesamt beruht auf den Kapazitäten, Informationen sofort, überall und zu überschaubaren Kosten zu speichern, zu analysieren und zu verbreiten. Führte die industrielle Revolution die Arbeit in den öffentlichen Raum, so treiben die Entwicklungen des Wissenszeitalters den Menschen in die globale Gesellschaft. Die Veränderungen durch das erst junge Internet zeigen sich also nicht allein im Nutzen und Umgang mit dieser Technologie, sondern in der daraus resultierenden Reorganisation wirtschaftlicher Abläufe. Und das wird noch Jahre bis Jahrzehnte dauern.


© Jörg Steinhaus 2000
erschienen in Kronos. Nr. 12. Dezember 2000 / Januar 2001. Wirtschaft. Seite 10.

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