Am Ende bleibt das Amt des US-Präsidenten nachhaltig beschädigt

Die Stimmzettel der Mediendemokratie

Amerika und die Welt wurden auf eine lange Geduldsprobe gestellt. Wochen dauerte es, bis der nächste Präsident der USA feststand. Anwälte beschäftigten Gerichte auf allen Ebenen und Wahlhelfer mussten Sonderschichten zur Stimmauszählung leisten. Doch das Amt des US-Präsidenten ist angeschlagen, George W. Bush muss sich nun neu beiweisen.


Wie alle vier Jahre sollte es vor allem die Nacht der Nachrichtensender werden, als Anfang November die Bürger der letzten verbliebenen Weltmacht ihren neuen Präsidenten wählten. Doch diesmal dauerte es nicht Stunden, sondern Wochen, bis feststand, wer das Rennen gemacht hat. Aus der Wahlnacht selber blieb nur das Eingeständnis, das Ergebnis sei "too close to call". Wie jedoch konnte es zu dieser Situation kommen, lag es nur am Wahlrecht, an den Fehlern der Wähler oder gar an der Mittelmäßigkeit der beiden Kandidaten?

Knappe Ergebnisse in einzelnen Bundesstaaten der USA gab es oft, doch noch nie zuvor war ein so großer und damit auch wahlentscheidender Staat wie Florida betroffen. Dies hat mehrere Gründe, die zum Teil im amerikanischen Wahlrecht liegen, zum anderen daran, dass diesmal keiner der beiden Kandidaten wirklich überzeugen konnte. Im warmen Südosten der USA scheinen jedoch auch die Stimmzettel ihren Beitrag zur allgemeinen Verwirrung geleistet zu haben.

Die Verstimmungszettel
Es ist eine typisch amerikanische Einstellung, und wieder einmal zeigte sie Gültigkeit: wer nichts macht, macht auch keine Fehler. Nur diesmal wurde etwas entschieden, wofür heute keiner mehr verantwortlich genannt werden möchte. Um den vielen in Palm Beach lebenden Rentnern das Wählen zu erleichtern, entschied sich die lokale Kommission zur Gestaltung der Wahlzettel für das Schmetterlingsprinzip. Der Wahlzettel wurde in zwei Hälften geteilt, die Namen der Kandidaten deutlich größer und somit besser lesbar gedruckt werden, doch abgestimmt werden musste zwischen den Reihen. Ein entscheidender Fehler, der zu Tausenden ungültiger Stimmzettel führte und zu überdurchschnittlich vielen Stimmen zu Gunsten des Rechtsaußen Buchanan.

Weit gefehlt jedoch, wer dies für das einzige Problem hielte. In etlichen anderen Bezirken zählten die teilweise 30 Jahre alten Wahlmaschinen nur die vollkommen gelochten Stimmkarten. Blieb ein Rest Papier am Zettel hängen, konnte nur eine manuelle Kontrolle das Votum des Wählenden nachvollziehen. Doch um diese Nachzählungen entbrannte dann die erste juristische Schlacht der Männer in den dunkelblauen Anzügen, die sich dann über die Wertung von Briefwahlstimmen bis auf Fragen nach dem generellen Wahlrecht der USA ausweitete.

Wahlrecht
Um es vorweg zunehmen: so schlecht, wie vielerorts behauptet, ist das amerikanische Wahlrecht gar nicht. Das ganze Verfassungssystem beruht auf verschiedensten Kontrollmechanismen. Und zu diesen zählt eben auch das Zwischenschalten von Wahlmännern, um das einfache Volk aus der Washingtoner Politik fern zu halten. Ansonsten handelt es sich aber um ein klassisches Mehrheitswahlrecht, das so auch in Großbritannien und teilweise, über die Erststimme bei Bundestagswahlen, auch bei uns auftaucht und funktioniert. Nur führte die Größe und teilweise sehr eindeutige politische Ausrichtung einiger Bundesstaaten dazu, dass die vollkommen auf die Massenmedien ausgerichteten Kandidaten inzwischen auf einen Wahlkampf in solchen Gebieten verzichten. Kein einziges Mal war zum Beispiel Al Gore in diesem Wahlkampf in Texas, die Wahlmännerstimmen waren für die Demokraten ohnehin abgeschrieben. Dies weiß auch der entsprechende Wähler, der dann vollkommen zurecht der Meinung ist, seine Stimme zähle weniger oder nichts. Die Einführung eines bundesweiten Ergebnisses, des "popular vote", mag Abhilfe schaffen, ein Allheilmittel ist dies für die USA aber auch nicht.

Andere Staaten, andere Probleme
Doch bei der Analyse internationaler Wahlsysteme fällt immer wieder auf, dass gerade Mehrheitswahlsysteme zu sehr problematischen Ergebnissen führen. Eben erst hat die ägyptische Regierung unter Hosni Mubarak etliche Stimmen erster Wahlgänge in Wahlkreisen annulliert, in denen oppositionelle Kräfte vor einer Stichwahl vorne lagen. Auch so lässt sich Politik ohne demokratische Beteiligung machen.

Amerikas Rolle
Die guten Zeiten für die USA als einzige und überzeugende Weltmacht sind aber ohnehin vorbei. Die Mittelmäßigkeit der beiden Kandidaten hat gezeigt, wo Amerika in zehn oder zwanzig Jahren stehen kann, nämlich als eine Macht im Kreise einiger. Anders als es zum Beispiel der schon recht senile amerikanische Professor Huntington noch vor Jahresfrist propagiert hat, werden sich dabei jedoch keine regionalen oder gar kulturellen Machtzentren bilden. Vielmehr wird in einer zunehmend vernetzten Welt derjenige Einfluss haben, der am flexibelsten auf Probleme reagieren kann. Dazu zählt auf jeden Fall Indien, ganz langsam auch China, eventuell Brasilien.

Bush als Politiker
George W. Bush wird diese neue Rolle der USA optimal ausfüllen. Er ist der Forrest Gump der neuen christlichen Politik und damit das Spiegelbild eines Großteils der nordamerikanischen Gesellschaft. Und die ist stolz auf ihr intellektuelles Versagen, vor allem außerhalb der großen Städte und des Bildungsbürgertums. Dieses Bürgertum sieht sich selber als liberal, schickt seine Kinder auf höhere Schulen, Colleges und Universitäten. Und: geht überdurchschnittlich häufig zur Wahl. Hätten alle amerikanischen Schichten gleichmäßig gewählt, das Ergebnis hätte einstimmiger zu Bushs Vorteil kaum ausfallen können. Denn: jedes Volk bekommt den Präsidenten, den es verdient. Und da hängt die Latte für Bush so niedrig, dass selbst er diese Hürde mit Bravour bewältigt. Bush wird ein einfältiger, ja vielleicht sogar ein ganz konkret dummer US-Präsident werden - aber in Teilen auf jeden Fall auch ein erfolgreicher.

Interessant bleibt für Europa vor allem die neue außenpolitische Ausrichtung der USA. Der Gipfel von Nizza sollte die Union flexibler und schneller machen, somit natürlich auch unabhängiger vom großem Partner auf der anderen Seite des Atlantiks. Wie auch immer sich Europa in Zukunft einigt, Samuel Huntington wird wohl Recht behalten mit seiner Angst, die USA könnten Probleme bekommen, wenn sie sich zu weit von Europa entfernten.


© Jörg Steinhaus 2000
erschienen in Kronos. Nr. 12. Dezember 2000 / Januar 2001. Ausland. Seite 6.

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