Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Wirtschaftswissenschaft und ihre Didaktik
Sommersemester 1999
Dr. Jan Karpe
Seminar "Konjunktur und Stabilität"

 

Zinssenkung ohne Inflation?

Zur Auseinandersetzung um Arbeitslosigkeit und Preisindexsteigerung zwischen Oskar Lafontaine und der Deutschen Bundesbank

 


Jörg Steinhaus - Münster, den 7. Juni 1999

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
 
2 Inflation als Problem
2.1 Definition von Inflation
2.2 Die Messung von Inflation
2.3 Folgen von Inflation
2.3.1 Geldfunktion
2.3.2 Einkommens- und Vermögensumverteilung
2.3.3 Fehlallokation
2.3.4 Wachstum und Beschäftigung
 
3 Erklärungsansätze der Inflation
3.1 Realwirtschaftliche Erklärung
3.1.1 Nachfrageinflation
3.1.2 Anbieterinflation
3.2 Geldmengeninduzierte Inflation
 
4 Überwindungsansätze der Inflation
4.1 Geldpolitik
4.2 Fiskalpolitik
4.3 Einkommenspolitik
 
5 Oskar Lafontaine und die Bundesbank
5.1 Arbeitsplätze oder Inflation?
5.2 Eine neue Wirtschaftspolitik
 
6 Abschließende Betrachtung
 
7 Literatur


Nächster Absatz 1 Einleitung

"Die Deutsche Bundesbank ist verpflichtet, unter Wahrung ihrer Aufgabe die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen."1
Im Herbst 1998 unternahm der damalige Bundesminister der Finanzen Oskar Lafontaine den Versuch, die Bundesbank zu einer Zinssenkung zu veranlassen. Die daraus resultierende Nachfragebelebung sollte dann zum Abbau von Arbeitslosigkeit beitragen. Die Bundesbank jedoch weigerte sich unter Berufung auf ihre Unabhängigkeit und auf die Preisstabilität als eigentlichem Ziel ihres Handelns diesem Anliegen nachzukommen.
Zu Beginn dieser Arbeit möchte ich nun grundlegend der Frage nachgehen, worum es sich bei dem Problem Inflation handelt und welche Auswirkungen sie haben kann. Danach werde ich versuchen, die Ursachen von Inflation in den gängigen Erklärungsmodellen und einige Überwindungsansätze zu beschreiben. Dabei beziehe ich mich nur auf eine geschlossene Volkswirtschaft, gehe also auf importierte Inflation und eine außenwirtschaftliche Betrachtung nicht ein. Für meine Fragestellung ist nämlich ceteris paribus momentan mit einer solchen Situation nicht zu rechnen.
Vielmehr möchte ich zum Ende der Arbeit hin nach den Handlungsspielräumen der Politik fragen und untersuchen, ob es durch Zinssenkungen zu einer Belebung des Arbeitsmarktes kommen kann, ohne daß dies zu einer Gefährdung der Stabilität durch Inflation führt. In diesem Zusammenhang gehe ich dann auf die Argumente des verbalen Schlagabtausches zwischen Oskar Lafontaine und der Bundesbank ein.


Vorheriger Absatz Nächster Absatz 2 Inflation als Problem

"Neben dem Problem der Vermeidung anhaltender Arbeitslosigkeit stellt sich in der öffentlichen Meinung als zweites wichtiges stabilitätspolitisches Ziel die Verhinderung von Inflation dar."2 Doch was genau ist Inflation, woran wird sie gemessen und welche Folgen hat sie?

2.1 Die Definition der Inflation
Am weitesten hat sich der symptomorientierte Begriff durchgesetzt. Er definiert Inflation als einen anhaltenden Anstieg des Preisniveaus. Hierbei handelt es sich um einen Durchschnittswert vieler oder aller Güterpreise, der über einen längeren Zeitraum hinweg - Woll spricht von "mindestens einige Jahre"3 - steigen muß. Einzelne Produkte können dabei durchaus im Preis fallen oder konstant bleiben. Aber auch kurzfristige oder einmalige Schwankungen, bedingt etwa durch saisonale Einflüsse oder Mißernten, werden nicht als Inflation verstanden.
Da Inflation als "monetäres Phänomen"4 darauf beruht, daß die Wachstumsrate des Geldangebots gM größer ist als die des realen Sozialprodukts gY, wird das Inflationspotential in der Marktwirtschaft im allgemeinen voll durch eine Preissteigerung gP ausgeschöpft. Der Wert der Güter im Preisniveau kann aber auch reziprok als Wert des Geldes in Gütereinheiten verstanden werden und Inflation somit als Prozeß der Geldwertverschlechterung.5
Im Gegensatz zum symtomorientierten Begriff steht die in der älteren Literatur beschriebene Kausaldefinition, die von möglichen Ursachen der Inflation ausgeht, meistens jedoch monokausal und somit ungenau ist.6
Auf andere Inflationsbegriffe wie versteckte, relative oder zurückgestaute Inflation soll hier nicht weiter eingegangen werden, es würde den Rahmen der Arbeit sprengen.7
Historisch gesehen trat Inflation vor allem dann auf, wenn neue unerwartete Edelmetallvorkommen auf den Markt trafen, so bei Alexander dem Großen8 oder im nach Amerika expandierenden Spanien des 16. Jahrhunderts9.

2.2 Die Messung von Inflation
Üblicherweise wird der Anstieg des Preisniveaus durch Preisindizes gemessen. Der in der Bundesrepublik bekannteste ist der der Lebenshaltung aller privaten Haushalte. Er wird monatlich gemessen am Vorjahresmonat und beträgt zur Zeit voraussichtlich 0,4%.10 Hierzu wird ein Warenkorb als Wägungsschema erstellt, der alle durchschnittlich verbrauchten Güter wie Nahrungsmittel und Getränke, Mieten, Bekleidung und Genußmittel gemäß einer allgemeinen Gewichtung enthält.11
Ebenso wie für den privaten Konsum lassen sich für Staatsausgaben, Investitionen und Exporte, aber auch für die gesamte Produktion eines Landes - dann als Preisindex des Bruttoinlandsprodukts - eigene Preisindizes erstellen.12
Berechnet wird die Lebenshaltung in Deutschland nach der Formel von Laspeyres. Diese geht von einem konstanten Warenkorb aus, der im Basisjahr zusammengestellt wurde und fragt nach dem jeweiligen Wert im Berichtsjahr.
Vereinfacht lautet der Laspeyres-Preisindex: LP0,1 = (Summe pi1qi0) / (Summe pi0qi0)13, wobei pi die Preise und qi die Mengen der Güter i sind. Der Index berechnet also die Summen von Preis mal Menge eines jeden verwendeten Gutes mit den Preisen im Jahr t=0 und Jahr t=1 jeweils bei den Mengen aus dem Jahre t=0. Da sich jedoch die Mengen im Laufe der Zeit verändern, "müssen ca. alle 5-10 Jahre neue Gewichte festgelegt werden".14
Bei der anderen bekannten Berechnungmethode durch den Paasche-Index wird der jeweilige Warenkorb des Berichtsjahres zugrunde gelegt und ermittelt, was dieser in einem Basisjahr gekostet hätte.15

2.3 Die Folgen von Inflation
Inflation kann, wenn sie verstärkt auftritt, die Stabilität einer Volkswirtschaft auf unterschiedliche Weise gefährden. Einige dieser Auswirkungen sollen nun kurz dargestellt werden.

2.3.1 Geldfunktion
Geld ist in der modernen Gesellschaft eine "gesellschaftliche Institution zur Erleichterung von realen Tauschaktionen"16. In der Tauschmittelfunktion ist aber erst bei einer Hyperinflation von einer Gefährdung der Geldfunktion zu reden, so wie es in Deutschland in den Jahren 1922/23 der Fall war.17 Darüber hinaus kommt es aber bei der Wertaufbewahrungsfunktion zu einer verringerten Kassenhaltung, welche zur Umgehung von inflationsbedingten Verlusten aber auch die Inflation durch Ausweitung der Finanzierungsspielräume weiter antreiben kann. Bei Inflationsraten unter 10% ist das "Risiko der Zerrüttung der Geldfunktion"18 jedoch gering.

2.3.2 Einkommens- und Vermögensumverteilung
Auswirkungen hat die Inflation dann, wenn eine einsetzende oder sich beschleunigende Preissteigerung falsch erwartet wird oder korrekte Annahmen mangels Marktmacht nicht umgesetzt werden können. Ein Lohn-Lag setzt zumeist erst zeitverzögert ein, so daß Einkommen bei steigender Inflationsrate real abnehmen, bei sinkender Rate jedoch auch wieder steigen können. Anders bei Nominalwertfixierung von Schuldverhältnissen. Hier gilt tendenziell eher der Schuldner als Gewinner.19

2.3.3 Fehlallokation
Wiederum treten negative Effekte dann auf, wenn die Inflationsraten stark oder unerwartet schwanken, da das Risiko von "Fehlentscheidungen aufgrund von Erwartungsirrtümern"20 steigt. Zusätzliche Ressourcen zur Minderung dieses Risikos müssen eingesetzt werden und Nominalverzinsungen können zu Liquiditätsproblemen führen.21

2.3.4 Wachstum und Beschäftigung
Seit Ende der 50er Jahre wird hierbei die Phillips-Kurve herangezogen, welche durch empirische Daten den Nachweis erbringt, daß "steigende Löhne mit steigendem Preisniveau einhergehen"22. Nach Samuelson ergibt sich zudem, daß Geldwertstabilität nur bei Arbeitslosenquoten von 3 bis 6% erreichbar sei.23
Gerade dieser Punkt erscheint für die Diskussion über den Streit zwischen Oskar Lafontaine und der Bundesbank interessant, auch da die neuere Literatur davon ausgeht, daß kein "stabiler dauerhafter Zusammenhang zwischen Inflation und Beschäftigung"24 besteht. Unbewiesen bleibt weiterhin, ob Inflation wachstumshemmend oder -fördernd ist, da die Statistik hier keinen eindeutigen Zusammenhang feststellen kann.25


Vorheriger Absatz Nächster Absatz 3 Erklärungsansätze der Inflation

Nach der Beschreibung der Folgen von Inflation möchte ich nun auf die Ursachen in Form von Erklärungsmodellen eingehen. Hierbei steht die Frage im Vordergrund, was einen Inflationsprozeß tatsächlich auslösen und wie er in Gang gehalten werden kann. Zu unterscheiden sind vor allem eine realwirtschaftliche und eine monetäre Sichtweise. Eine Inflationsübertragung aus dem Ausland muß dabei unberücksichtigt bleiben.

3.1 Realwirtschaftliche Erklärung
Dieser Ansatz beruht auf Änderungen der Nachfrage- und Angebotsplänen bestimmter Gruppen von Wirtschaftssubjekten. Bei der Nachfrageinflation zieht diese bei einem Überschuß in einem Sog das Preisniveau herauf (<demand pull>), während bei der Anbieterinflation die Variablen einen Stoß ausüben (<supply push>).26

3.1.1 Nachfrageinflation
Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage besteht aus dem privaten Konsum, privaten Investitionen, den Exporten und den Staatsausgaben.27 Dieser Nachfrage steht ein Angebot gegenüber und im Normalfall bildet sich ein Gleichgewicht auf einem bestimmten Preisniveau.
Durch Einflüsse wie höhere Staatsausgaben kommt es zu einem Anstieg der Nachfrage, so daß c.p. in einem Modell der Vollbeschäftigung eine "inflatorische Lücke"28 entsteht. Dazu kommt es zunächst zu höheren Nominaleinkommen bei den Unternehmen, später auch bei den Arbeitnehmern, da diese die steigenden Preise mit in ihre Lohnforderungen aufnehmen. Solange keine Gruppe in ihren realen Plänen zurückstecken muß, steigen die Nachfrage- und die Angebotskurve weiter.
Als Lösungen sind hier Steuererhöhungen durch den Staat denkbar, die jedoch von diesem stillgelegt, d.h. vom Markt genommen werden müssen, und eine strikte Begrenzung der Geldmenge.29

3.1.2 Anbieterinflation
Dieser Ansatz entstand in den 50er Jahren, als es zu Preissteigerungen trotz ungenutzter Kapazitäten kam.
Er geht davon aus, daß die Anbieter von sich aus die Preise für Güter und Leistungen heraufsetzen, um höhere oder stärker steigende Einkommen zu realisieren30 bzw. um einem Kostendruck auszuweichen, der durch höhere Lohnkosten, Rohstoffpreiserhöhungen oder Steuererhöhungen entstanden sein kann.31
Der Vorteil dieses Ansatzes besteht in der theoretischen Erklärbarkeit von Stagflation, dem Zusammenspiel von Stagnation und Inflation. Bei autonomen Kostensteigerungen für das Unternehmen kann dieses bei gegebenem Finanzierungsspielraum mit Produktionsdrosselung reagieren, wodurch es zu Inflation und Rückgang von Beschäftigung und Wachstum kommt.32
Bei einem Zusammenwirken von Arbeiter- und Nachfrageinflation kann in der Inflationstheorie von Schultze festgestellt werden, daß bei einer asymmetrischen Reaktion von Güterpreisen und Löhnen diese zwar mit steigender Nachfrage ansteigen, bei sinkender Nachfrage jedoch gleichbleiben. Obgleich es bei steigender Nachfrage in einigen Sektoren in anderen zu stagnierender oder rückläufiger Nachfrage kommt, findet eine allgemeine Nachfrageverschiebung nach oben statt. Die Inflation entsteht hierbei dadurch, daß der Faktor Arbeit nicht ständig in die expandierenden Branchen wechseln kann und will und gleichzeitig über starke Gewerkschaften auch in zurückbleibenden Branchen seine Lohnforderungen realisiert.33

3.2 Geldmengeninduzierte Inflation
Bei diesem Erklärungsansatz liegt die bereits beschriebene Ausweitung der Geldmenge zu Grunde. Übersteigt gemäß der Zuwachs der Geldmenge G das Realeinkommen YR bei fester Umlaufgeschwindigkeit U so ergibt sich zwangsläufig nach "G * U = YR * P"34 ein Anstieg des Preisniveaus P.
Seit den 70er Jahren folgt auch die Deutsche Bundesbank diesem Gedankengang. Er ermöglicht eine Ausschöpfung ihrer Instrumentarien bei Einhaltung ihrer Aufgabe, die Währung zu sichern.35
Kurzfristig kann es bei der älteren Neoquantitätstheorie durch Reallohnsenkungen zu realen Effekten auf Produktion und Beschäftigung kommen, die jedoch langfristige wieder verschwinden. Nur ein ständiger Zuwachs der Inflationsraten führt hier zu dauerhaften realen Effekten, die jedoch letztendlich zu einem Zusammenbruch des Geldsystems führen würden.
In der etwas neueren Theorie rationaler Erwartungen kommt es hingegen gar nicht erst zu einem Lohn-Lag, da alle Wirtschaftsobjekte die Geldpolitik richtig einschätzen. Statt erhoffter realer Wirkungen auf das Wachstum wirkt Geldpolitik hier rein inflatorisch.36


Vorheriger Absatz Nächster Absatz 4 Überwindungsansätze der Inflation

Angesichts seit Jahren niedriger Inflationsraten in Deutschland überwiegen inzwischen die Erklärungsansätze in der Literatur. Doch welche konkreten Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung gibt es? Der rein rechnerisch einfachste Weg über einen Preisstopp verhindert nur die Steuerungsmechanismen der Marktwirtschaft und führt zu einer verdeckten oder aufgestauten Inflation.

4.1 Geldpolitik
Unter Geldpolitik versteht man Eingriffe der Notenbank in die Geldversorgung der Wirtschaft. Wesentliche Bestandteile sind Mindestreserve-, Offenmarkt- und Rediskontpolitik sowie direkte Eingriffe in den Kapitalmarkt.37
Durch diese Maßnahmen soll eine Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage erreicht werden. Problematisch bleibt jedoch die Vorhersagbarkeit der Wirkungen und die Existenz nicht nachfrageorientierter Inflationsursachen. Der Wirkungszusammenhang zwischen "Geldmengenwachstum und der langfristigen Inflationsrate"38 ist jedoch kaum umstritten. Effektiv sind diese monetaristischen Instrumente vor allem dann, wenn eine Zentralbank wie die Deutsche Bundesbank weisungsunabhängig ist.39

4.2 Fiskalpolitik
Wie die Bundesbank kann auch die Regierung über die Fiskalpolitik in die Regelung der Nachfrage eingreifen und zwar durch die Veränderung des Staatshaushaltes. Im Gegensatz zur Bundesbank versucht der Staat aber zumeist den anderen Zielen der Wirtschaftspolitik (Vollbeschäftigung und Wachstum)40 mit einem geringen Inflationszuwachs zu begegnen. Durch eine antizyklische Ausgabenpolitik kann so der Nachfragesog der Inflation zur positiven Beeinflussung von Wachstum und Beschäftigung genutzt werden.
Andererseits kann der Staat durch Veränderung der Steuersätze und Transferzahlungen die Unternehmen davon abhalten im Sinne der angebotsorientierten Erklärung der Inflation ihre Nettogewinnspanne durch Preiserhöhungen zu maximieren.41

4.3 Einkommenspolitik
Zu guter Letzt gibt es noch das gesellschaftspolitische Mittel der Einkommenspolitik. Hier wird versucht, die verschiedenen Gruppen von übermäßigen Forderungen abzubringen, die dann überhaupt erst zu Inflation führen könnten. Es handelt sich also um eine präventive Maßnahme, die ihre Mittel in dem "Zusammenführen und Informieren der Gruppen"42 und der "Ausübung von Druck"43 auf nicht einsichtige Gesprächspartner sieht.


Vorheriger Absatz Nächster Absatz 5 Oskar Lafontaine und die Bundesbank

Da seit Anfang der 90er Jahre die Inflationsraten in Deutschland konstant sanken und zur Zeit bei Werten deutlich unter einem Prozent liegen, kam eine Diskussion über Preisindexsteigerungen erst wieder auf, als im vergangenen Herbst der damalige Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine die Bundesbank aufforderte, die Zinsen zu senken. Was wollte Lafontaine mit diesem geldpolitischen Mittel bewirken und welche möglichen Folgen wurden in der Diskussion erörtert?

5.1 Arbeitsplätze oder Inflation?
Grundlage dieser Überlegungen ist eine von Keynes abgeleitete antizyklische Konjunkturpolitik, mit dem Gedanken, "man müsse die Massenkaufkraft stärken, damit die Arbeitslosen wieder einen Job finden"44. Dieses sollte nach Meinung von Lafontaine durch das Instrument der Zinssenkung geschehen, auf die nur die Bundesbank Zugriff hat.
Bereits im vergangenen Sommer beschied Lafontaine zusammen mit seiner Frau Christa Müller in dem Buch <Keine Angst vor der Globalisierung> der Bundesbank, "in den vergangenen 15 Jahren eindeutig versagt"45 zu haben. Dabei bezogen sie sich auf die Herausforderung für die Notenbank "die Preissteigerung in Grenzen zu halten und gleichzeitig die Stabilität des Wachstums und der Beschäftigung zu sichern"46. Die Bundesbank konterte, daß die Preisstabilität Vorrang habe.47
Ströbele schreibt, daß Inflationsraten bis zu 10% nicht stabilitätsgefährdend seien,48 solange sie von allen Beteiligten korrekt vorausgesehen werden. Genau dieses beschreibt die oben aufgeführte Theorie der rationalen Erwartungen, die allerdings keine realen Effekte auf das Wachstum erkennt. Allerdings können nach Keynes auch "mit kleinen Anstößen größere Wirkungen zu erzielen"49 sein und auch bei struktureller Arbeitslosigkeit könne mit Nachfragebelebung ein "günstiges Klima"50 geschaffen werden.
Es bleibt die Frage, welche der Annahmen korrekt ist.

5.2 Eine neue Wirtschaftspolitik
Auch die Bundesbank ist angehalten, wie eingangs zitiert, die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen und "vielleicht schärfen die jetzigen Irritationen ja das Bewußtsein dafür, daß Ökonomie immer eine politische Angelegenheit ist"51.
Ohne daß man dem SPD-Linken Lafontaine vorwerfen könnte, ein besonderer Freund der USA zu sein, weist dieser immer wieder darauf hin, daß Amerika gezeigt hat, "daß man beides realisieren kann, inflationsfreies Wachstum und Beschäftigungswachstum"52. Die dortige Federal Reserve ist zudem dem Parlament Rechenschaft schuldig und scheut sich nicht, "ihre Entscheidungen und Motive gegenüber dem Publikum"53 zu begründen.
Vielleicht ist dies nur ein Versuch, die EZB frühzeitig unter Druck zu setzen,54 vielleicht aber auch eine ehrliche Maßnahme, eine neue Politik einzuleiten. Daß Lafontaines Vorschläge zu ihrem erhofften Ergebnis führen, ist nicht zu beweisen, daß Gegenteil allerdings auch nicht. Somit bleibt es tatsächlich eine vom Wähler getroffene politische Entscheidung, den einen oder anderen Weg in der Wirtschaftspolitik gehen zu wollen.


Vorheriger Absatz Nächster Absatz 6 Abschließende Betrachtung

Inflation als Gefahr ist den Deutschen seit der Wirtschaftskrise 1922/23 bekannt, auch wenn die heutige Situation eine ganz andere ist. Die Erklärungs- und Überwindungsansätze sind vielseitig und niemals monokausal, ebenso die Möglichkeiten einer Inflation entgegenzuwirken.
Angesichts von über 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland und vielen Millionen mehr in Europa, kann aber die Frage gestellt werden, ob eines der 4 Ziele der Wirtschaftspolitik, die Preisstabilität, zum vermeintlichen Nachteil der anderen derart durchgesetzt werden muß.
Welche Strategie zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit die richtige ist und ob Inflationshinnahme mittels Zinssenkung dazu beiträgt, läßt sich nicht beweisen. Da aber aus stabilitätstheoretischer Sicht eine geringe, richtig eingeschätzte Inflation bis zu 10% kein Problem darstellt, ist es eine Frage der Politik, welche Wirtschaftspolitik eingeschlagen werden soll. Ob der gewünschte Effekt dann auch tatsächlich eingetreten wird, bleibt offen. Im Falle eines Scheiterns steht es dem Wähler offen, sich nach einigen Jahren umzuentscheiden. Die Bundesbank muß sich allerdings in jedem Fall auch dem Wohl des deutschen Volkes verpflichtet fühlen.


Vorheriger Absatz 7 Literatur


Fußnoten

  1. Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Gesetz über die Deutsche Bundesbank. § 12. Verhältnis der Bank zur Bundesregierung. Frankfurt a.M. 1998. S. 18. [In der seit dem 1.1.1999 gültigen Fassung heißt es in § 12: "Soweit dies unter Wahrung ihrer Aufgabe als Bestandteil des Europäischen Systems der Zentralbanken möglich ist, unterstützt sie die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung." Ebd. S. 19. Da sich meine Untersuchung aber hauptsächlich auf das Jahr 1998 bezieht, habe ich die damalige Fassung zitiert - d. Verf.]
  2. Zurück zum Text
  3. Wolfgang Ströbele: Inflation. Einführung in Theorie und Praxis. 4. Aufl. München 1995. S. 1. (künftig zitiert als Ströbele: Inflation.)
  4. Zurück zum Text
  5. Artur Woll: Allgemeine Volkswirtschaftslehre. 9. Aufl. München 1987. S. 487.
  6. Zurück zum Text
  7. Milton Friedman. zitiert nach Dieter Cassel: "Inflation". in Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik. Band 1. 7. Aufl. München 1999. S. 290. (künftig zitiert als Cassel: Inflation.)
  8. Zurück zum Text
  9. vgl. Cassel: Inflation. S. 291. [Eine hohe, dauerhafte Zunahme der Kassenhaltung wird dabei ausgeschlossen. d. Verf.]
  10. Zurück zum Text
  11. vgl. ebd. S. 289.
  12. Zurück zum Text
  13. vgl. dazu Ströbele: Inflation. S. 39 f.
  14. Zurück zum Text
  15. vgl. Ströbele: Inflation. S. 1.
  16. Zurück zum Text
  17. vgl. José Luis Comellas: Historia de España moderna y contemporánea. 13. Aufl. Madrid 1995. S. 124 ff.
  18. Zurück zum Text
  19. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Mitteilung für die Presse. 25. Mai 1999. [Internet: http://www.statistik-bund.de/presse/deutsch/pm/p9176051.htm]. Demnach werden die endgültigen Ergebnisse für Mai 1999 etwa Mitte Juni 1999 vorliegen.
  20. Zurück zum Text
  21. Da es verschiedene Verbrauchsgewohnheiten je nach Haushaltsgröße und Einkommen gibt, weist das Statistische Bundesamt diese auch in verschiedenen Indizes aus. Als Inflationsindikator zählen aber zumeist der Warenkorb für einen 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen oder der oben genannte Warenkorb aller privaten Haushalte. vgl. dazu Jürgen Heubes: Inflationstheorie. München 1989. S. 19 ff.
  22. Zurück zum Text
  23. vgl. Ströbele: Inflation. S. 33.
  24. Zurück zum Text
  25. Gabler-Wirtschafts-Lexikon: "Laspeyres-Index". 5. Aufl. Wiesbaden 1993. Band 5. S. 2058.
  26. Zurück zum Text
  27. ebd. S. 2058.
  28. Zurück zum Text
  29. vgl. Ströbele: Inflation. S. 34-39.
  30. Zurück zum Text
  31. Ebd. S. 7.
  32. Zurück zum Text
  33. vgl. Fritz Blaich: Der Schwarze Freitag. Inflation und Wirtschaftskrise. München 1985. S. 9-58.
  34. Zurück zum Text
  35. Ströbele: Inflation. S. 11.
  36. Zurück zum Text
  37. vgl. Ströbele: Inflation. S. 13-23.
  38. Zurück zum Text
  39. Cassel: Inflation. S. 336.
  40. Zurück zum Text
  41. vgl. Ströbele: Inflation. S. 23-26.
  42. Zurück zum Text
  43. Uwe Taenzer: Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften. Teil 2. Geld und Kredit. 2. Aufl. Stuttgart 1976. S. 181.
  44. Zurück zum Text
  45. vgl. ebd. S. 181f.
  46. Zurück zum Text
  47. Ströbele: Inflation. S. 31.
  48. Zurück zum Text
  49. vgl. Joachim Klaus: Inflationstheorie. Darmstadt 1974. S. 20ff. (künftig zitiert als Klaus: Inflationstheorie.)
  50. Zurück zum Text
  51. ebd. S. 37
  52. Zurück zum Text
  53. vgl. Richard Müller und Werner Röck: Konjunktur-, Stabilisierungs- und Wachstumspolitik. 4. Aufl. Stuttgart 1993. S. 119. (künftig zitiert als Müller/Röck)
  54. Zurück zum Text
  55. Ströbele: Inflation. S. 45.
  56. Zurück zum Text
  57. vgl. ebd. S. 48
  58. Zurück zum Text
  59. vgl. Cassel: Inflation. S. 310 f.
  60. Zurück zum Text
  61. vgl. Müller/Röck. S. 124.
  62. Zurück zum Text
  63. vgl. Ströbele: Inflation. S. 58.
  64. Zurück zum Text
  65. vgl. ebd. S. 58 f.
  66. Zurück zum Text
  67. Klaus: Inflationstheorie. S. 70.
  68. Zurück zum Text
  69. vgl. Horst Bockelmann: Die Deutsche Bundesbank. 3. Aufl. Frankfurt a.M. 1996.
  70. Zurück zum Text
  71. vgl. Ströbele: Inflation. S. 73-89.
  72. Zurück zum Text
  73. vgl. Klaus: Inflationstheorie. S. 82 f.
  74. Zurück zum Text
  75. Ströbele: Inflation. S. 197.
  76. Zurück zum Text
  77. vgl. Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Gesetz über die Deutsche Bundesbank. § 3. Aufgabe. Frankfurt a.M. 1998. S. 10.
  78. Zurück zum Text
  79. Das "magische Viereck" der Wirtschaftspolitik beinhaltet: Vollbeschäftigung, Wachstum, Preisstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Eine gleichzeitige Erfüllung aller Ziele erscheint nicht möglich. vgl. Michaela Wimmer: Stichwort Konjunktur und Krise. München 1993. S. 13-17.
  80. Zurück zum Text
  81. vgl. Ströbele: Inflation. S. 201.
  82. Zurück zum Text
  83. Ebd. S. 211.
  84. Zurück zum Text
  85. Ebd. S. 211.
  86. Zurück zum Text
  87. Süddeutsche Zeitung. "Die Rückkehr von Keynes". Leitartikel. 2.11.1998. S. 4.
  88. Zurück zum Text
  89. Oskar Lafontaine und Christa Müller: Keine Angst vor der Globalisierung. Wohlstand und Arbeit für alle. Bonn 1998. S. 309.
  90. Zurück zum Text
  91. Ebd. S. 309.
  92. Zurück zum Text
  93. vgl. Süddeutsche Zeitung. "Die Verfassung noch einmal studieren". Vizepräsident Jürgen Stark empfiehlt den Kritikern der Zentralbank die Lektüre der Gesetze. 31.10.1998. S. 2.
  94. Zurück zum Text
  95. vgl. Ströbele: Inflation. S. 11-13.
  96. Zurück zum Text
  97. Süddeutsche Zeitung. "Zur Wiedervorlage: John Maynard Keynes". von Prof. Peter Kalmbach. 5./6.6.1999. S. 27.
  98. Zurück zum Text
  99. Ebd.
  100. Zurück zum Text
  101. Süddeutsche Zeitung. "Zur Wiedervorlage: John Maynard Keynes". von Prof. Peter Kalmbach. 5./6.6.1999. S. 4.
  102. Zurück zum Text
  103. Der Spiegel. "Es geht um Vertrauen". Spiegel-Gespräch mit Oskar Lafontaine. Nr. 45 vom 2.11.1998. S. 29.
  104. Zurück zum Text
  105. Die Zeit. "Vorsorgliche Belagerung". Nr. 46 vom 5.11.1998. [Internet: http://www.zeit.de/archiv/1998/46/199846.bundesbank_.html]
  106. Zurück zum Text
  107. vgl. ebd.
  108. Zurück zum Text

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